Myotonien, nicht dystrophische und Periodische Paralysen

ID: | 0125 Akkreditierte Untersuchung |
Diagnostik: | Sequenzierung und CNV: ATP1A2, ATP2A1, CACNA1S, CLCN1, HINT1, HSPG2, KCNJ2, SCN4A |
Material: | 2 ml EDTA-Blut |
Analysezeit: | 6-8 Wochen |
OMIM: | 104290, 601003, 170400, 160800, 255700 |
Formulare: |
Nicht dystrophische Myotonien
Die erblich bedingten Myotonien sind eine Gruppe von Muskelerkrankungen, die durch verzögerte Muskelerschlaffung charakterisiert sind. Klinisch werden sie in der Regel in zwei Gruppen eingeteilt: die myotonen Dystrophien und die nicht-dystrophen Myotonien. Die nicht-dystrophen Myotonien werden durch pathogene Varianten in Genen verursacht, welche für die die muskulären Kanalproteine kodieren („Kanalopathien“).
Myotonia congenita ist eine der häufigsten nicht-dystrophischen Myotonien und wird am häufigsten durch pathogene Varianten des Gens CLCN1 (muskulärer Chloridkanal-1) verursacht. Pathogene Varianten in CLCN1 können die verschiedenen Phänotypen verursachen: die mildere autosomal dominante Thomsen Myotonie und die schwerere rezessive Becker Myotonie. Das typische klinische Symptom beider Formen ist die Steifigkeit der Muskulatur. Die Erkrankung beginnt meist im Kindesalter kann aber sehr variabel sein (frühkindliches Alter bis Erwachsenenalter) und betrifft alle Muskelgruppen inklusive Augenmuskulatur, Gesichtsmuskeln und Zunge. Die Steifigkeit der Muskel wird nach wiederholten Bewegungen besser (sogenanntes „warm-up-Phänomen“). Die Muskeln sind typischerweise hypertrophiert. Männer sind in der Regel schwerer betroffen als Frauen. Patienten können eine milde proximale Muskelschwäche entwickeln, die von Perioden mit akuten Lähmungen begleitet ist. Für Patienten mit Myotonia congenita besteht möglicherweise insgesamt ein erhöhtes Narkoserisiko, insbesondere durch eine Überempfindlichkeit gegenüber depolarisierenden Muskelrelaxantien. Bei geplanter Narkose sollte daher der behandelnde Anästhesist über das Vorliegen einer Muskelerkrankung informiert werden und eine triggerfreie Narkose gewählt werden.
Differentialdiagnostisch sind bei CLCN1-negtiven Patienten mit V.a. Myotonie/Paramyotonie pathogene Varianten in SCN4A (Sodium Channel /alpha Subunit) in Betracht zu ziehen. SCN4A kodiert für die alpha-Untereinheit des spannungsabhängigen muskulären Natriumkanals. Abhängig von Art, Lokalisation und funktionellen Konsequenzen der jeweils zugrundeliegenden pathogenen Varianten in SCN4A sind verschiedene klinische Phänotypen möglich wie z.B. die Paramyotonia congenita (PMC) oder die Kaliumsensitive Myotonie (PAM, potassium-aggraved Myotonia), die alle einem autosomal dominanten Erbgang folgen. Die PMC weist im Gegensatz zu den Chloridkanalmyotonien kein warm-up-Phänomen auf, sondern ist durch eine Zunahme der Muskelsteifigkeit bei repetitiver Belastung (paradoxe Myotonie) gekennzeichnet. Außerdem zeigt sich bei dieser Erkrankung eine starke Temperaturabhängigkeit: die Muskelsteifigkeit oder Lähmungen nimmt Minuten bis Stunden nach Kältedisposition zu.
Bei der Kaliumsensitive Myotonie (PAM) wird die myotone Symptomatik durch den Verzehr kaliumreicher Lebensmittel wie z.B. Bananen und Kartoffeln verstärkt. Der Schweregrad der kaliumbedingten Myotonie reicht von leichten Anfällen bis hin zu einer schweren Erkrankung mit häufigen Schüben. Im Gegensatz zu anderen Formen der Myotonie geht die kaliumbedingte Myotonie nicht mit Episoden von Muskelschwäche einher.
Periodische Paralysen
Bei den periodischen Paralysen handelt es sich um autosomal dominant erbliche Erkrankungen, die auf genetischen Veränderungen muskulärer Natrium-, Kalium- oder Kalziumkanäle beruhen. Sie sind charakterisiert durch eine episodisch auftretende Muskelschwäche, die mit einer Veränderung des Serum-Kaliumspiegels einhergehen kann (hyperkaliämische /hypokaliämische Periodische Paralysen).
Die klinischen Leitsymptome der Hyperkaliämischen Periodischen Paralyse (HYPP) sind episodische Phasen einer Muskelschwäche oder -Lähmung (Minuten bis zu 2 Stunden), oft in Ruhephase nach starker Muskelaktivität oder provoziert durch kaliumreiche Nahrung, Fasten, Alkohol oder Kälte, laborchemisch begleitet von einer Erhöhung des Serumkaliums. Die Erstmanifestation liegt typischerweise in der 1.-2. Lebensdekade, elektrophysiologisch zeigt sich eventuell ein myotones Syndrom. Die Hyperkaliämische Periodische Paralyse (HYPP) wird durch pathogene Varianten des SCN4A– Gens verursacht. Pathogene Varianten im SCN4A-Gen können je nach Art, Lokalisation und funktionellen Konsequenzen der Variante zu unterschiedlichem klinischem Bild führen die sowohl die Hyperkaliämische Periodische Paralyse (HYPP) als auch die oben beschriebenen Myotonien umfassen. Teilweise findet man auch klinische Überlappungen dieser Krankheitsbilder.
Die Hypokaliämische periodische Paralyse Typ 2 (HOKPP) wird charakterisiert durch episodisch auftretende Lähmungserscheinungen, die häufig morgens, nach körperlicher Anstrengung am Vortag, nach kohlenhydratreicher Mahlzeit oder durch Kälte-getriggert auftreten. Manche Patienten wachen morgens paretisch auf. Die Muskelschwäche ist oft länger anhaltend als bei der HYPP (über eine bis mehrere Stunden bis zu Tagen). Üblicherweise findet sich keine Myotonie. Laborchemisch kann während der Symptomatik eine Erniedrigung des Serumkaliums nachweisbar sein. Die Erstmanifestation liegt in der 2.-3. Lebensdekade; bei älteren Patienten kann sich eine permanente Muskelschwäche entwickeln, die als proximale Myopathie imponiert. Insgesamt ist die HOKPP häufiger als die HYPP. Die häufigste Ursache der HOKPP (40-60%) sind pathogene Varianten CACNA1S-Gen, welches für eine der fünf Untereinheiten des langsam inaktivierenden spannungsabhängigen Kalziumkanals in Skelettmuskelzellen kodiert. Bei 7-14% der Patienten sind pathogene Varianten im SCN4A-Gen beschrieben.