Je früher schwere Krankheiten diagnostiziert werden, desto besser sind in der Regel die Behandlungsmöglichkeiten. Dies gilt auch für Mukoviszidose – eine unheilbare Erbkrankheit, der mit einer neuen Therapie jedoch Einhalt geboten werden kann. Treffen zwei Merkmalsträger aufeinander, weisen ihre Kinder ein erhöhtes Erkrankungsrisiko auf.
Mukoviszidose ist in Europa die am häufigsten angeborene Stoffwechselerkrankung. Jährlich kommen 2.000 Neugeborene – sowohl Mädchen als auch Jungen – mit ihr auf die Welt. Die Erkrankung kann lebensbedrohlich sein, die Betroffenen überschreiten selten das 50. Lebensjahr. Sie beruht auf fehlerhaft codierten Abschnitten (Mutationen) im CFTR-Gen, die eine Fehlregulation des Salz- und Wassertransports in den Zellen zur Folge haben. Leitbahnen auf der Zelloberfläche durchziehen – wie in Venedig die Kanäle – bei gesunden Menschen den Organismus und führen ihm die Nährstoffe zu, die er benötigt. Bei erkrankten Menschen hingegen sind diese Kanäle defekt und gleichen löchrigen Rohren. Das CFTR-Gen kann an verschiedenen Stellen Fehler aufweisen. Derzeit sind etwa 2.000 Mutationen bekannt, die die Funktionalität der Leitbahnen einschränken. Sie bewirken, dass diese sich gar nicht erst ausbilden, falsch aufbauen oder außerplanmäßig wieder abbauen.
Gesunde Zellen umhüllt eine konsistente Schleimschicht. Defekte Zellen erhalten hingegen durch die gestörte Stoffwechselregulation zu wenig Wasser und Salz. Dadurch verdickt sich die Flüssigkeit außerhalb der Zellen zu zähem Schleim, der nicht mehr abfließt. Eine intakte Flüssigkeitsschicht ist so dünn wie Tee, zäher Schleim hingegen so dick wie Honig. Der zähe Schleim verklebt nach und nach Organe wie u. a. Bronchien, Bauchspeicheldrüse, Schweißdrüsen, Verdauungstrakt und behindert ihre Funktionalität. Er fördert die chronische Besiedlung der Lunge mit Krankheitserregern. In der Bauchspeicheldrüse verstopft das zähflüssige Sekret die Drüsenausgänge, deren Zellen zunehmend degenerieren und durch Bindegewebe ersetzt werden. „Im schlimmsten Fall zieht dies Folgeerkrankungen wie schwere Lungenentzündungen, Gedeihstörungen, Mangelernährung, Diabetes, Osteoporose, Leberkomplikationen, Probleme mit der Fruchtbarkeit nach sich. Die Patienten leiden u. a. an Dauerhusten, chronischem Durchfall oder schweren Lungenentzündungen“, resümiert die Humangenetikerin Dr. Astrid Preuße.
Wer ist gefährdet?
Viele Menschen tragen eine Mutation in sich, erkranken jedoch nicht. Der Grund: Mukoviszidose bricht nur dann aus, wenn ein Kind von beiden Elternteilen je ein mutiertes Gen erbt (autosomal-rezessiv). Tragen beide Eltern je ein mutiertes und ein intaktes Gen in sich, beträgt die Wahrscheinlichkeit 25%, dass das Kind zwei intakte Genkopien erhält. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind mit einer intakten und einer mutierten Kopie zwar gesund bleibt, aber die Mutation weitervererbt, beträgt 50%. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind erkrankt, also von beiden Eltern die defekten Varianten erbt, beträgt ebenfalls 25 %. Sind beide Eltern erkrankt, würden auch alle Kinder die Erkrankung erben. Da die meisten männlichen Betroffenen jedoch eine Unfruchtbarkeit aufweisen, bleibt dieses Szenario unwahrscheinlich.
Auf den Punkt gebracht: Familien, deren Vorfahren bereits an Mukoviszidose erkrankten, weisen ein erhöhtes Risiko auf.
Auf diese Anzeichen sollten Sie achten
Wenn Sie bei Ihrem Neugeborenem häufige Bauchschmerzen oder Infekte bis hin zur Lungenentzündung, vermehrtes Husten, salzige Haut, schrumpelige Hände bei kurzer Badezeit und schlechte Gewichtzunahme beobachten, könnten dies Indizien für eine Erkrankung sein. Allerdings unterscheiden sich die Symptome individuell und weisen auch divergierende Verläufe auf.
Vom Neugeborenen-Screening zum Gentest
In der Vergangenheit verging häufig viel Zeit, bis die Krankheit diagnostiziert wurde, weil die Untersuchungsmethoden noch nicht so ausgefeilt waren. Seit der Einführung des bundesweiten Neugeborenen-Screenings 2016 untersuchen die Geburtskliniken jedoch routinemäßig auch nach Stoffwechselerkrankungen. Dabei prüfen sie das Blut der Neugeborenen auf das Vorhandensein bestimmter Eiweiße (IRT und PAP). Wenn es stark erhöhte Werte aufweist, schließt sich ein weiterführender Gentest an. Dieser weist eine Erkrankung zweifelsfrei nach.
Auf der Suche nach Programmierungsfehlern
Ein Gentest erfordert lediglich eine kleine Blutprobe. Er empfiehlt sich in Kombination mit einer humangenetischen Beratung, um mögliche Folgen einer Diagnose aufzuzeigen. „Beides – humangenetische Beratung und Bluttest – bieten wir Ihnen schnell und bequem in unserem Hause an. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für diese Leistungen in vollem Umfang“, betont die Humangenetikerin Dr. Usha Peters.“ Ein Gentest ermittelt auch die Art der Mutation. Kennen die Ärzte die Mutationsart, können sie häufig den Schweregrad der Erkrankung einschätzen und ggf. die Therapie optimieren.“
Stellen Sie sich einen Gentest wie eine Software vor, die die Rechtschreibung eines Textes überprüft. Ihre Gene entsprechen in diesem Vergleich einem langen Text, in den sich Schreibfehler eingeschlichen haben, die bei der genetischen Encodierung ihre fatale Wirkung zeigen. Jeder Schreibfehler zieht unterschiedliche Folgen nach sich, die in Ausmaß und Bedeutung variieren.
Wie genau möchten Sie es wissen?
Wenn Sie bereits vor der Geburt Ihres Kindes Gewissheit über eine Erkrankung erhalten möchten, bietet sich die Pränatal-Diagnostik (PND) oder auch Präimplantationsdiagnostik (PID) an. Diese findet in der Regel Anwendung, wenn bereits Familienmitglieder an Mukoviszidose erkrankten.
Beide Verfahren setzen eine humangenetische Beratung voraus. Sie beinhaltet eine Aufklärung über die Erkrankung und das diagnostische Verfahren. Wenn beide Eltern sich einem Gentest unterziehen und dieser Mutationsarten identifiziert, lässt sich mit der DNA des Fötus bestimmen, ob der Säugling erkranken wird oder nicht.
Etappen des Fortschritts
Bestätigt ein Genetiker eine Mukoviszidose-Erkrankung, wird er Sie zur Behandlung an ein spezialisiertes Zentrum vermitteln. Dort erarbeiten Experten eine individuelle Therapie und einen Behandlungsplan. Mittlerweile existieren Medikamente, die bei bestimmten Mutationsarten die Funktion des CFTR-Salz-Kanals teilweise wiederherstellen. Deshalb ist die Untersuchung und Bestimmung der Mutationsart von Bedeutung. So finden die Ärzte heraus, ob diese Medikamente für den Patienten von Nutzen sind.
Um die Erkrankung zu behandeln, korrigieren diese Medikamente nicht nur die fehlerhafte Encodierung der CFTR-Proteine (Korrektoren), sondern auch ihre Wirkung, wenn sie die Zellmembran erreichen (Potentiatoren). 2012 wurde mit Ivacaftor der erste Potentiator zugelassen. Er kam jedoch nur für ca 5 % der Patienten infrage, die eine G551D-Mutation aufwiesen. Im letzten Jahr kam ein neues Mittel auf den Markt, das den Potentiator Ivacaftor mit dem Korrektor Tezacaftor verband. Diese Kombination eignet sich auch für Patienten, bei denen beide Kopien (Allele) des CFTR-Gens Phe508del-Mutationen enthielten. Dies betrug rund 46 % aller Patienten.
2019 erzielte eine neue Studie mit dem Medikament Trikafta, das in USA bereits zugelassen ist, einen signifikanten Fortschritt. Dieses erweiterte die Therapie um den Korrektor Elexacaftor. Dadurch lassen sich nun rund 95% aller Patienten behandeln – und zwar alle, die eine Phe508del-Mutation aufweisen. Allerdings eignet sich die Therapie nicht für Menschen mit Lebererkrankung oder Schwangere.
„Im Ergebnis konnte diese Therapie die Sterblichkeit nachhaltig senken, den Luftstrom in den Atemwegen sowie die Lungenfunktion deutlich verbessern“, konstatiert die Humangenetikerin Dr. Saskia Kleier. „Das stellt einen großen Fortschritt dar, der die Lebensqualität der Patienten nachhaltig verbessert.“ Derzeit überprüft die europäische Arzneimittel-Agentur EMA die Zulassung von Trikafta.