Im Rahmen des IX. Diabetes-Symposium der Asklepios Klinik St. Georg berichtete aus unserem Haus der Molekularbiologe Winfried Schmidt über das Thema „Diabetes & Gene: Wann, welche Diagnostik? „.
Eine Zusammenfassung seines Beitrags finden Sie hier:
Aufgrund einer steigenden Fallzahl von Patienten, die sich hinsichtlich familiär erblicher Diabeteserkrankungen in unserer Gemeinschaftspraxis für Humangenetik beraten und untersuchen lassen möchten, habe ich die Fragestellung „Diabetes & Gene: Wann, welche Diagnostik? “ mit aktuellen Studien insbesondere zum familiär erblichen Maturity-onset diabetes of the young (MODY) näher betrachtet.
Die „International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes“ unterteilt den familiär erblichen Diabetes in vier Hauptgruppen (Pediatric Diabetes [2014]:
2. Autosomal dominant vererbte familiäre, milde Hyperglykämie oder Diabetes
3. Diabetes mit extrapankreatischen Merkmalen
4. Monogen vererbte Insulinresistenz-Syndrome
Die zahlenmäßig größte Gruppe ist die Gruppe 2 der autosomal dominant vererbten familiären Diabetesformen. In diese Gruppe fallen die Patienten, die am Maturity-onset diabetes of the young (MODY), auch monogener Diabetes genannt, erkrankt sind. Es wird geschätzt, dass etwa 1-2% der 6-8 Millionen Diabetiker in Deutschland MODY-Patienten sind, und aktuell geht man davon aus, dass etwa 60000 – 160000 MODY-Patienten in Deutschland leben, viele davon unerkannt. In der Publikation von Shields aus dem Jahr 2010 (Diabetologia [2010], Maturity-onset diabetes of the young (MODY): how many cases are we missing?) wird die Zahl der unerkannten MODY-Fälle mit >80% eingeschätzt.
Der englische Erstbeschreiber und Arzt Tattersall formulierte 1974 die Kriterien, nach denen man an einen MODY denken sollte, wie folgt:
2. nicht-Insulin abhängiger Diabetes – initial kein oder niedriger Insulinbedarf
3. autosomal dominanter Erbgang – Diabetes über 2-3 Generationen
4. monogener Defekt der pankreatischen Beta-Zelle
5. Übergewicht selten
Heute wissen wir, belegt durch zahlreiche aktuelle Studien, dass die „Tattersall-Kriterien“ von 1974 erweitert werden müssen:
2. ca. 8% “de novo” Mutatonen – keine weiteren Diabetes-Fälle in der Familie (Stanik [2014])
3. ca. 8-9% der unter 30-jährigen MODY-Patienten sind übergewichtig (Colclough [2013
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es sich beim MODY um einen Diabetes mellitus handelt, der ab dem Jugendlichenalter auftritt (Maturity onset diabetes of the young) und v.a. in der nordeuropäischen Bevölkerung vorkommt. Er wird autosomal dominant vererbt. Es gibt mittlerweile 13 verschiedene Typen (MODY 1-13). Ursächlich sind Genveränderungen in den Genen des Glukosestoffwechsels, wodurch es zu einem genetischen Defekt der ß-Zellen des Pankreas kommt. Bei MODY-Patienten ist das Vorliegen von Übergewicht selten.
Die häufigsten MODY-Formen sind MODY 3 (ca. 69% Häufigkeit), MODY 2 (ca. 14% Häufigkeit), MODY 1 (ca. 3% Häufigkeit) und MODY 5 (ca. 3% Häufigkeit).
Auf unserem MODY-Merkblatt haben wir die wichtigsten Informationen für Sie zusammengefasst.
[gview file=“http://www.dna-diagnostik.hamburg/wp-content/uploads/2015/11/MODY-Merkblatt.pdf“]
MODY 2 (GCK-Gen)
Beim MODY 2 liegen Genveränderungen im Glukokinase-Gen (GCK Gen) vor. Die Patienten haben eine milde Hyperglykämie mit persistierend erhöhter Nüchternglukose (100-160 mg/dl) von Geburt an. Im OGGT kommt es nur zu einem leichten Anstieg (2 h) von ca. 40 mg/dl. Der HbA1c liegt zwischen 5.8 und 7,6%. Der Diabetes manifestiert sich im Kindes- bis Erwachsenenalter. Kinder mit GCK-Mutation bedürfen einer anderen Behandlung als hyperglykämische Kinder mit Typ-1-Diabetes. Die Patienten haben meist keinen Insulinbedarf. In der Regel ist keine medikamentöse Behandlung der Kinder notwendig. Es treten kaum Spätkomplikationen auf. Bei Anlageträgern wird ein jährliches Diabetes-Screening ab 10 Jahren empfohlen. Da viele Mutationsträger asymptomatisch sind, sollte man in jedem Fall bei Nachweis eines MODY 2 die Eltern und andere Familienmitglieder untersuchen.
Besonders häufig lassen sich im GCK-Gen Mutationen beim Schwangerschaftsdiabetes nachweisen. Etwa jede 50. Schwangere mit einer Glukosetoleranzstörung ist Träger einer Mutation im GCK-Gen. Für die Betreuung in der Schwangerschaft spielt der Genotyp des Kindes, der Mutter und des Vaters eine wichtige Rolle. Ist die Mutter Anlageträgerin für eine GCK Mutation, das Kind aber nicht, ist das Risiko einer Makrosomie des Kindes durch die erhöhten Glukosespiegel der Mutter erhöht (durchschnittlich 600g schwerer, Spyer et al. 2009). Sind Mutter und Kind Anlageträger für eine GCK Mutation findet ein normales Wachstum des Kindes statt. In diesen Fällen wird empfohlen, bei Vorliegen eines Gestationsdiabetes auf eine Insulintherapie nach Möglichkeit zu verzichten, da erstens hohe Insulindosen notwendig sind, um die Hyperglykämie bei der Mutter abzusenken und zweitens das Kind mit GCK-Mutation für ein normales Wachstum eine erhöhte Glukosezufuhr benötigt. Sind der Vater und das Kind Anlageträger, die Mutter aber gesund, kann durch den vermehrten Glukosebedarf des Kindes eine Wachstumsverzögerung des Kindes eintreten. Es wird daher empfohlen, in den MODY2-Familien serielle Ultraschalluntersuchungen durchzuführen, um das Wachstum des Kindes gut zu monitoren.
MODY 3 und MODY 1 (HNF1A-Gen, HNF4A-Gen)
Beim MODY 3 liegen Genveränderungen im HNF1A-Gen vor. Die Nüchternglukose kann initial normal sein, im Alter entwickeln die Patienten jedoch eine progressive Hyperglykämie. Im OGGT kommt es zu einer starken Erhöhung (2 h) von ca. 150 mg/dl. Der Diabestes manifestiert sich meist zwischen 12 und 30 Jahren. Häufig fallen MODY3-Patienten über eine renale Glukosurie auf (niedrige Nierenschwelle). Es besteht eine deutlich verminderte Insulinsekretion, die im Verlauf weiter abnimmt. Spätkomplikationen treten genau so häufig wie bei Diabetes mellitus Typ1 und Typ2. Therapeutisch im Vordergrund steht die Behandlung mit oralen Antidiabetika (gute Verträglichkeit von Sulfonylharnstoffen (Glimepirid) und GLP1-Rezeptor Agonisten (Liraglutid); Bacon [2015] und Ostoft [2015]. Auch DPP-4-Inhibitoren zeigen eine effektive Wirkung Katra [2010].
Im späteren Verlauf kann eine Insulintherapie notwendig werden. Auf Grund des progressiven Verlaufs liegt häufig ein Diabetes bei den Eltern und Großeltern vor.
Beim MODY 1 liegen Genveränderungen im HNF4A-Gen vor. Klinischer Verlauf und Therapie sind dem MODY 3 sehr ähnlich. Bei Weitergabe der HNF4A Mutation an ein Kind kann es zur Makrosomie des Kindes kommen, unabhängig, ob die Mutter selber einen Gestationsdiabetes entwickelt oder nicht. Die Anlageträger sind durchschnittlich 790 g schwerer als nicht betroffene Geschwisterkinder. Auch 46% der betroffenen Kinder von betroffenen Vätern und gesunden Müttern sind makrosom. Dieses bedeutet, dass hierbei der fetale Genotyp eine wichtige Rolle zu spielen scheint und nicht nur die mütterlichen Glukosespiegel. Nach der Geburt haben viele Kinder mit einer HNF4A Mutation milde hyperinsulinämische Hypoglykämien (Pearson et al. 2007).
MODY 5 (HNF1B-Gen)
Beim MODY 5 liegen Genveränderungen im HNF1B-Gen vor. Ähnlich wie beim MODY 3 und 1 entwickeln die Patienten im Alter eine progressive Hyperglykämie mit einem insgesamt schweren Krankheitsverlauf. Typisch für den MODY 5 sind mögliche Begleitmanifestationen wie Retinopathie und schwere Nierendefekte (Nierenhypoplasie, multizystische, dysplastische Nieren, Zystennieren und Einzelnieren) und/oder eine Malformation der Genitalien (Vaginalaplasien und Uterushypoplaasien). Häufig fallen die MODY 5-Patienten über rekurrierende Harnwegsinfekte auf. Der klinische Verlauf kann sehr variabel sein. Bei manchen Patienten liegt nur ein Diabetes mellitus ohne weitere extrapankreatische Merkmale vor, bei anderen sind initial bei den Patienten Nierenfehlbildungen bzw. Genitalmalformationen nachweisbar und der Diabetes entwickelt sich erst später. Es wird daher empfohlen, in den MODY 5-Familien bei Vorliegen einer Schwangerschaft serielle Ultraschalluntersuchungen durchzuführen. In der Literatur wird das Vorliegen von Nierenzysten und Diabetes auch unter dem Namen RCAD (Renal Cysts and Diabetes) zusammengefasst.
Fazit:
Zusammenfassend sollte man an einen MODY bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen denken, wenn diabetesspezifische Autoantikörper bei Manifestation fehlen, eine positive Familienanamnese und eine nordeuropäische Abstammung vorliegen und der Insulinbedarf auch nach längerer Insulintherapie niedrig bleibt (<0.5 Einheiten / kgKG/d). Da die Diagnose eines monogen bedingten Diabetes eine Prognose über den klinischen Verlauf erlaubt und zu einer signifikanten Therapieveränderung führt, sollte eine genetische Beratung und Diagnostik möglichst früh erfolgen.
Beim Schwangerschaftsdiabetes sollte v.a. an einen MODY gedacht werden, wenn die Patientin schlank ist, insbesondere, wenn die Familienanamnese positiv ist und milde Hyperglykämien vorliegen. Das Geburtsgewicht der Kinder ist abhängig von fetalem, maternalem und paternalem Genotyp. Daher muss man eine individuelle Therapie planen. Durch eine gezielte genetische Untersuchung hat man die Möglichkeit den MODY Typ zu definieren und hierdurch Therapieschemen individuell zu beginnen. Das Geburtsmanagement kann verbessert werden, die Prognose besser eingeschätzt werden und die Patienten und Familien individueller betreut werden.