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Die Vergangenheit hinter sich lassen

Fehlgeburten sind belastende Erlebnisse, die die betroffenen Paare in ihrer Familienplanung stark verunsichern.  Die Ursachen erweisen sich als vielfältig. Häufig liegt ihnen jedoch ein genetischer Defekt zugrunde. Eine genetische Untersuchung des Fehlgeburtsgewebes sowie einer Blutprobe der beiden Eltern gibt betroffenen Paaren schnell und einfach Auskunft, ob sie ein erhöhtes Risiko für künftige Schwangerschaften aufweisen.

Übergewicht (Adipositas), Infektionen, Autoimmunerkrankungen, Gerinnungsstörungen, Bluthochdruck, Entzündung der Schleimhaut des Dünndarms aufgrund einer Überempfindlichkeit gegen Gluten (Zöliakie), Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose), Diabetes und Rheuma gelten als klassische Faktoren, die Fehlgeburten befördern können. Doch genetische Faktoren spielen häufig die Hauptrolle. Verstirbt das heranreifende Kind (Fetus) im Mutterleib, sind dafür oft Fehlbildungen lebenswichtiger Organe verantwortlich, die auf genetisch bedingte Veränderungen der Chromosomen, die die Erbinformation in sich tragen, zurückzuführen sind. Trisomien (= das überzählige Vorhandensein von Chromosomen) wie das Down-Syndrom (Trisomie 21), aber auch Trisomien anderer Chromosomen (z.B. 13, 14, 15, 16, 18, 22) zählen zu den bekanntesten genetischen Veränderungen.

Manche Frauen machen sich nach einer Fehlgeburt Selbstvorwürfe. Sie fragen sich: „Hätte ich jenes Glas Sekt doch nicht trinken dürfen?“ Oder: „Habe ich mich körperlich überanstrengt?“ Solche Selbstgespräche sind verständlich, entbehren jedoch im Allgemeinen einer Grundlage. Auch treibt viele Paare die Frage um, ob sich die Vergangenheit wiederholen könnte. Genetische Untersuchungen vermögen dieser quälenden inneren Stimme die Schärfe zu nehmen, weil sie Aufschluss über mögliche genetische Vorbelastungen bringen.

Das Buch des Lebens verstehen
Dafür stehen unterschiedliche Untersuchungsmethoden zur Verfügung: zytogenetische und molekulargenetische. Eine zytogenetische Untersuchung nimmt die Chromosomen mit einem Lichtmikroskop in den Blick. Sie begutachtet Anzahl, Gestalt, Struktur und sucht nach strukturellen oder numerischen Veränderungen. Eine molekulargenetische Untersuchung dringt tiefer und untersucht die Chromosomen „von innen“. Dazu analysiert sie Struktur und Funktion von Molekülen – den kleinsten Bauteilen der Zellen.

Stellen Sie sich eine Genetische Diagnostik wie einen Gang durch eine Bibliothek vor. Die Gene tragen den Bauplan des Menschen in sich, der sich mit den vielen Büchern lesen lässt. „Mit unseren Untersuchungsmethoden können wir diesen Bauplan entschlüsseln und Fehler finden“, erläutert die Humangenetikerin Dr. Saskia Kleier. „Ihr Leistungsvermögen variiert jedoch. Mit manchen Untersuchungen lassen sich nur einzelne Kapitel erkennen, andere hingegen machen einzelne Seiten und Wörter lesbar.“ Je nach Aufgabe und Anwendungszweck kommen unterschiedliche Methoden zur Anwendung. Sie unterscheiden sich in ihrer Auflösungstiefe und -qualität. Zu diesem Zweck wird beiden Eltern eine Blutprobe entnommen.

 Auf der Suche nach Mustern und Abweichungen
Die zytogenetische Chromosomenuntersuchung bildet in der Regel den ersten Schritt. Sie ermöglicht die Darstellung aller Chromosomen und ihrer „Kapitel“, der sog. Banden. Die Färbung der Chromosomen erzeugt ein für alle Chromosomen charakteristisches Bandenmuster. Chromosom für Chromosom gleichen wir dann die Abfolge der einzelnen Banden ab, um strukturelle Veränderungen zu identifizieren“, erklärt die Humangenetikerin Dr. Astrid Preusse. Dabei kann es sich um Inversionen, Translokationen, Duplikationen oder Deletionen handeln. Eine Inversion weist einen um 180° gedrehten Gen-Abschnitt auf. Sie stellt die Folge eines DNA-Doppelstrangbruches dar, dessen Reparatur misslang, weil sich seine Bruchstellen in umgekehrter Anordnung zusammensetzten. Eine Translokation bezeichnet eine Chromosomenveränderung, die einzelne Abschnitte eines Chromosoms an andere Positionen verschiebt. Eine Duplikation verdoppelt einen Chromosomenabschnitt. Eine Deletion lässt genetisches Material verschwinden. Durch die Erstellung des Chromosomensatzes (Karyogramm) wird festgestellt, ob Anzahl (wir haben 46 Chromosomen) und Struktur auffällig sind und Hinweise darauf geben können, ob eine Fehlgeburt durch eine familiär übertragene Chromosomenveränderung entstanden ist oder ob es sich um eine am Fehlgeburtsgewebe selbst neu entstandene Chromosomenstörung handelt. Auf diese Weise lässt sich das Wiederholungsrisiko bestimmen.

Falls erforderlich kann zusätzlich noch eine Farbmarkierung mit unterschiedlichen leuchtenden Farbstoffen erfolgen. Dies wird als sog. Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FisH) bezeichnet.

Mit der zytogenetischen Chromosomenuntersuchung lassen sich zuverlässig Fehlverteilungen der Chromosomen wie Trisomien (z. B. Down-Syndrom) und Monosomien (z.B. Ullrich-Turner-Syndrom) und bestimmte Deletionen, Duplikationen, Inversionen sowie Translokationen chromosomaler Abschnitte bis zu einer bestimmten Größe erkennen. Sie stößt jedoch an Grenzen, wenn es um die Identifikation von kleineren und kleinsten Aberrationen (Mikrodeletionen und Duplikationen) geht. Auch Sequenzveränderungen in einzelnen Genen vermag sie nicht zu erkennen. Deshalb eignet sie sich nicht für die Diagnostik monogen (= die Ausbildung eines Merkmals aufgrund eines einzelnen Gens) vererbter Erkrankungen.

Noch tiefer schauen – mit Mikrochips und Laserscanner
„Wenn sich lichtmikroskopisch festgestellte Chromosomenveränderung nicht eindeutig charakterisieren lassen, schlägt die Stunde der molekularen Untersuchungen. Diese ergänzen, ersetzen jedoch nicht die zytogenetische Untersuchung“, betont die Humangenetikerin Dr. Usha Peters. Sie dienen der Diagnostik kleinerer genomischer Imbalancen, weil sie eine etwa Tausend mal höhere Auflösung ermöglichen als die der konventionellen Chromosomenanalyse. Veränderungen können viel feiner, detaillierter und genauer dargestellt werden. Auf diese Weise lässt sich feststellen, ob – und wenn ja – welche Gene Deletionen oder Duplikationen aufweisen.

Die Molekulare Karyotypisierung (Array CGH) bildet in den meisten Fällen die Methode der Wahl. Sie vergleicht nicht nur Chromosomen, sondern das gesamte Genom eines Patienten mit einer intakten Referenzprobe. Sie markiert die DNA-Proben mit unterschiedlichen, leuchtenden Farbstoffen (Fluoreszenzfarbstoffen), analysiert diese jedoch nicht unter einem Lichtmikroskop, sondern auf einem Array. Arrays gleichen einer Sonde, die Moleküle aufspürt und miteinander vergleicht. Sie nutzen dafür die Technik der Hybridisierung, die es sich zunutze macht, dass sich zwei separate Einzelstränge der DNA über Wasserstoffbrücken miteinander zu einem Doppelstrang verbinden – und zwar immer dann, wenn die beiden Einzelstränge eine komplementäre Basensequenz aufweisen, sich also auf dem jeweils anderen Strang die passenden Basen befinden.

Das Array besteht aus einem Mikrochip, auf dessen Oberfläche sich eine große Anzahl enganliegender Nukleotide (= die Bausteine der Nukleinsäuren, aus denen die DNA besteht) aneinanderreihen. Diese werden mit der Patienten DNA vermischt, dabei konkurrieren Patienten- und Referenz-DNA um die Bindungsstellen. Weist der Patient einen normalen Chromosomensatz auf, so bleiben die Farbintensität von Patienten- und Referenz-DNA identisch. Weist das Patienten-Genom jedoch eine Imbalance auf, verschieben sich die Farbintensitäten. Solche Farbverschiebungen zeigen unregelmäßige Muster oder numerische Veränderungen an. Ein Laserscanner erfasst diese Signale und ordnet sie mit einer Software der Genregion zu. So lassen sich Muster erkennen und in Diagnosen überführen.

Die molekulargenetische Einzelgenanalyse wiederum wird verwendet, um bei der Fragestellung der Fehlgeburten eine Analyse häufiger genetischer Blutgerinnungsfaktoren zu ermöglichen. Ein erhöhtes Thromboserisiko kann ebenfalls Ursache für Fehlgeburten sein und ist medikamentös gut behandelbar.

Alle Untersuchungsmethoden sind schnell, komfortabel und unkompliziert und erfordern lediglich eine Blutprobe. Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernehmen sämtliche Kosten.