OMIM: | 162200 |
Diagnostik: | Sequenzierung und CNV: NF1 |
Material: | 2 ml EDTA-Blut |
Analysezeit: | 3-4 Wochen |
Formulare: |
Die Neurofibromatose Typ 1 (Synonym: Morbus von Recklinghausen) gehört zur Gruppe der Neurofibromatose-Spektrum-Erkrankungen (neurokutane Syndrome oder Phakomatosen; siehe auch Von Hippel-Lindau-Syndrom) und ist mit einer Inzidenz von etwa 1 zu 3000 eine der häufigsten, erblichen neurologischen Erkrankungen, mit Fehlbildungen im Bereich der Haut und des zentralen Nervensystems. Der Erbgang ist autosomal-dominant. Etwa die Hälfte der Patienten weist jedoch eine Neumutation auf (Eltern und weitere Angehörige sind in dem Fall nicht betroffen).
Typischerweise treten bei der Neurofibromatose Typ 1 (NF1) bereits sehr früh Pigmentanomalien wie Flecken mit kaffeebrauner Färbung (Café-au-lait-Flecken bzw. Milchkaffeeflecken), vermehrte Sommersprossen in Achseln, Nacken und Leisten (axilläre und inguinale Lentigines, „Freckling“) sowie Lisch-Knötchen der Iris auf.
Genetisch besteht eine hohe Penetranz, d.h. in der Regel zeigen Betroffene bis zum Ende der Pubertät am gesamten Körper anzutreffende multiple Neurofibrome (plexiforme und kutane). Neurofibrome sind gutartige Knötchen, die häufig an der Haut auftreten, aber auch an Nerven, Rückenmark, Orbita, Gastrointestinaltrakt und Retroperitoneum manifestieren und durch ihre lokal verdrängende Wirkung konsekutiv zu Schmerzkrisen und neurologischen Symptomen, wie z. B. Parästhesien (Kribbeln der Haut, Taubheit, Einschlafen der Glieder, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen) führen können.
Die NF1 ist auch ein Tumordispositionssyndrom: NF1-Betroffene haben für folgende Tumorentitäten das höchste Risiko für eine maligne Entartung: Tumore des zentralen Nervensystems, der Brustdrüse, GIST (gastrointestinale Stromatumore), Glomus-Tumore sowie Phäochromozytome. Patienten mit großen Deletionen im NF1-Gen scheinen ein noch höheres Tumorrisiko zu haben.
Bei ca. 8 bis 12 % der NF1-Betroffenen findet sich im Laufe des Lebens eine maligne Entartung bestehender plexiformer Neurofibrome zu einem malignen peripheren Markscheidentumor (MPNST; früher Neurofibrosarkom). Der MPNST kann sich auf jedem Nerv des Körpers entwickeln. Die hervorstechenden Symptome sind Schmerzen und eine schnell wachsende Tumormasse. In der Regel sind diese Tumoren sehr aggressiv und haben eine schlechte Prognose.
NF1-betroffene Frauen haben ein signifikant höheres Risiko für (ein- oder beidseitigen) Brustkrebs vor dem 50. Lebensjahr (5-fach höher), daher wird eine jährliche Mamma-MRT-Krebsvorsorge zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr für NF1-Patientinnen empfohlen. Regelmäßige Vorsorge-Mammographien sind aufgrund der Radiosensitivität der NF1 und dem gehäuften Auftreten von Zweitmalignomen nach Strahlenexposition kritisch zu sehen. Für NF1-betroffene Männer scheint das Brustkrebsrisiko ebenfalls erhöht zu sein.
Das Optikusgliom (pilozytisches Astrozytom) zeigt einen Erkrankungsgipfel zwischen 0 bis 6 Jahren und das Lebenszeitrisiko beträgt etwa 15 %. Die Juvenile myelomonozytäre Leukämie (JMML) ist eine besonders bösartige Sonderform der Leukämie bei Säuglingen und Kleinkindern, in 75% der Fälle finden sich Mutationen im NF1-, NRAS-, KRAS- oder PTPN11-Gen.
Neben dem Auftreten von Tumoren sind auch andere Veränderungen wie Knochenanomalien (Wirbelsäulenverkrümmung), Knochenzysten, Keilbeindysplasie, Pseudarthrosen, Gelenkbeschwerden, Epilepsie, Bluthochdruck, Minderwuchs, Makrozephalie, vorzeitiger oder verspäteter Pubertätsbeginn und Sehstörungen typisch. Zusätzlich können neuro-psychologische Defizite wie eine Aufmerksamkeitsstörung, Autismus-Spektrum-Störung, Lernschwierigkeiten und Teilleistungsstörungen entstehen.
Verursacht wird die NF1 durch Mutationen im Tumorsuppressor-Gen NF1, das auf dem langen Arm von Chromosom 17 kartiert (17q11.2) und das zytoplasmatische Protein Neurofibromin kodiert. Neurofibromin dient als negativer Regulator der Ras-Signalkaskade, die zahlreiche Prozesse u.a. bei der Kontrolle des Zellwachstums und der Zelldifferenzierung steuert. Ein Mangel an funktionierendem Neurofibromin führt zu einer andauernden Aktivierung der Ras-Signalkaskade und fördert die Entstehung von Neoplasien.
Indikation:
Klinischer V. a. Neurofibromatose Typ 1
(mindestens zwei der Hauptkriterien sollten erfüllt sein)
- mindestens 6 Pigmentflecken in Form von milchkaffeefarbenen Flecken (Café-au-lait-Flecken) von mindestens 5 mm Größe
- mindestens 2 kutane Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom
- Sommersprossen (Freckling) oder multiple, inguinale Lentigines in der Achsel und/oder in der Leistengegend
- Optikusgliom
- mindestens 2 Lisch-Knötchen (Pigmentanreicherungen an der Iris des Auges)
- Knochenfehlbildungen (Pseudarthrose, Keilbeinflügeldysplasie, Verkrümmung der langen Röhrenknochen)
Eine frühzeitige diagnostische Absicherung empfiehlt sich zur Prävention und zur Therapie von Betroffenen. Patienten mit nachgewiesener Mutation im NF1-Gen wird eine früh einsetzende Vorsorge empfohlen. Zur Vorbeugung von Komplikationen sollten regelmäßige Kontrolluntersuchungen sowie ggf. präventive bildgebende Untersuchungen durchgeführt werden. Die Prognose wird entscheidend durch das Auftreten maligner Tumoren bestimmt.
Im April 2020 hat der Wirkstoff Selumetinib eine bedingte Zulassung von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) für die Anwendung bei der NF1 erhalten. Damit kann das Präparat bei Kindern (3 Jahre und älter) zur Behandlung von symptomatischen, inoperablen plexiformen Neurofibromen (PNF) eingesetzt werden. Durch den Einsatz von Selumetinib, kann es gelingen, Tumorgewebe an Wachstum zu hindern und sogar zu verkleinern.