OMIM: | 602481, 141500, 609634 |
Diagnostik: | Sequenzierung und CNV: ATP1A2, ATP1A3, CACNA1A, NOTCH3, PRRT2, SCN1A, SLC1A3, SLC2A1 |
Material: | 2 ml EDTA-Blut |
Analysezeit: | 6-8 Wochen |
Formulare: |
Die Migräne zählt zu den häufigsten Kopfschmerzarten und gehört mit einer Prävalenz von etwa 15% zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Man unterscheidet zwei Arten von Migräne, die Migräne mit Aura (MA) und Migräne ohne Aura (MO), wobei die MO die häufigste Form darstellt. Bei der MO handelt es sich um eine genetisch komplexe Erkrankung, bei der neben der genetischen Komponente Umwelteinflüsse eine wesentliche Rolle spielen. Demgegenüber stehen seltene Migräneformen, die monogen vererbt werden. Ein wichtiges Beispiel für die seltenen Migräneformen ist die familiäre hemiplegische Migräne (FHM).
Die FHM gehört zu den Migräneformen mit Aura (MA) und zeigt sich durch das Auftreten rezidivierender Attacken mit reversiblen visuellen oder sensiblen Symptomen und/oder Sprachstörungen sowie reversiblen motorischen Defiziten wie Kraftverlust (= Plegie) sowie variabel ausgeprägte Paresen. Typischerweise treten die Symptome zeitlich gestaffelt auf oder breiten sich aus. Anders als Aura Symptome bei gewöhnlicher MA, die durch eine kurze Dauer gekennzeichnet sind (5-60 min), kann die motorische Symptomatik bis zu 72 Stunden anhalten. Im Vergleich zur gewöhnlichen Migräne mit Aura ist jedoch die Attacken Frequenz mit durchschnittlich drei Anfällen im Jahr tendenziell niedriger. Als mögliche Auslöser von hemiplegischen Attacken kommen leichte Kopftraumata, physische Anstrengung und Kontrastmittelexposition (z. B. im Rahmen einer zerebralen Angiographie) infrage. Bei schwereren Attacken können zusätzliche Komplikationen wie Fieber, Verwirrtheit, epileptische Anfälle, Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma auftreten. Möglich sind auch transiente Hirnstammsymptome mit bilateralen motorischen bzw. sensiblen Defiziten, Dysarthrie oder Schwindel im Rahmen der Aura. Viele FHM-Patienten leiden neben der hemiplegischen Migräne zusätzlich unter Attacken einer nicht hemiplegischen Migräne mit oder ohne Aura. Die individuelle Ausprägung der Symptome kann innerhalb einer betroffenen Familie deutlich variieren. In Familien mit bestimmten Genmutationen können neben der reinen hemiplegischen Migräne auch permanente neurologische Symptome (außerhalb der Kopfschmerzattacken) auftreten. Gehäuft zeigten sich z. B. progrediente zerebelläre Symptome wie z.B. Nystagmus, Gang- und Standstörungen, bis hin zu einer milden und meist spät einsetzenden zerebellären Ataxie. Auch permanente kognitive Defizite, wie mentale Retardierung und eine spät einsetzende „demenzielle Entwicklung“ werden beschrieben. Die Prävalenz der FHM wird auf ca. 1:10000 (0.01%) geschätzt. Die Ersterkrankung beginnt meist schon in der Kindheit oder frühen Jugend.
Die häufigste Ursache einer FHM sind Mutationen im CACNA1A-Gen (FHM1) welche bei ca. 50% aller Patienten bzw. bei bis zu 90% der Patienten mit begleitenden zerebellären Symptomen nachweisbar sind. Die Penetranz beträgt ca. 80%. Unterschiedliche Mutationen in CACNA1A rufen ein breites Spektrum an episodischen und chronisch-progressiven zentralnervösen Symptomen hervor wobei Missense-Mutationen bevorzugt zur Klinik einer FHM führen.
Durch Mutationen im ATP1A2-Gen wird die FHM2, durch Mutationen im SCN1A-Gen die FHM3 verursacht. Die beiden Gene CACNA1A und SCN1A kodieren für Ionenkanal-Komponenten, das ATP1A2-Gen für eine Na+-K+-ATPase. Die FHM gehört somit zu den Ionenkanalerkrankungen. Durch Mutationen in diesen Genen kommt es zu einer Erhöhung von Glutamat im synaptischen Spalt und somit zu einer gesteigerten neuronalen Erregbarkeit, was zu einer gesteigerten Suszeptibilität für die Streudepolarisierung (Spreading Depression) führt. In seltenen Fällen lassen sich auch pathogene Varianten in weiteren Genen nachweisen.