Um Krebs effektiver und frühzeitiger behandeln zu können, setzen Mediziner große Hoffnungen in Liquid biopsy – einen genetischen Bluttest. Er gilt neben der Immuntherapie als die Methode der Zukunft in der Onkologie.
Die Methode
Liquid biopsy bezeichnet ein Verfahren, mit dem man sich erhofft, molekulare Eigenschaften aus dem Blut herauszulesen. Zu diesem Zweck entnimmt ein Arzt dem Patienten Blut, das anschließend einer genetischen Analyse unterzogen wird. Solche Tests existieren bereits für die Pränataldiagnostik (z. B. der Trisomie-Bluttest). Gegenwärtig entwickeln Forscher einen solchen Test auch für die Onkologie, um Tumore schonend und schneller diagnostizieren sowie individueller therapieren zu können. Sie versprechen sich davon große Vorteile für Früherkennung (Screening), Therapiewahl und Verlaufskontrolle (Monitoring).
Vorteile
Bislang setzt die Diagnostik von Krebsarten bildgebende Verfahren wie MRT und CT voraus. Wenn der Arzt auf den Bildern einen Tumor diagnostiziert, entnimmt er eine Gewebeprobe, um die Krebsart bestimmen zu können. Dabei handelt es sich um eine vergleichsweise aufwendige und belastende Methode, weil sie mit einem operativen (invasiven) Eingriff einhergeht. „Liquid biopsy macht dieses Vorgehen überflüssig, weil es lediglich eine kurze, schmerzlose und völlig harmlose Blutentnahme voraussetzt“, betont Dr. Saskia Kleier, Fachärztin für Humangenetik. Sie eignet sich deshalb auch für Krebsarten, bei denen eine Nadelbiopsie zu riskant wäre, wie z. B bei Lungen- oder Hirntumoren.
Biomarker im Blut ermöglichen Diagnose
Tumore weisen die Eigenheit auf, dass sie kleine Menge an Zellen und Erbgut ins Blut absondern, die Informationen über Erkrankungen und Veränderungen geben. Dazu zählen u. a. zirkulierende freie DNA (cfDNA) und zirkulierende Tumorzellen (CTCs). Mit cfDNA sind kurze Erbgut-Abschnitte gemeint, die als Abbauprodukte von Tumorzellen ins Blut gelangen. Diese weist man nach, indem man die DNA von gesunden Zellen, die ebenfalls im Blut treiben, von den Tumorzellen trennt. Weil sie sich durch bestimmte Eigenschaften von normalen Blutzellen unterscheiden, können sie identifiziert und isoliert werden. Anschließend untersuchen Genetiker ihr Erbgut und ihre Eiweiß-Zusammensetzung, aus der sie Rückschlüsse über Erkrankungen ziehen. Zusammenfassend: cfDNA fungiert als ein Biomarker – also als ein messbarer Parameter, der eine Erkrankung belegt.
Mehr Therapiekontrolle
Eine weitere Eigenschaft von Krebszellen: sie können ihr Erbgut durch Mutationen verändern. Dann entstehen neue Krebsherde oder Metastasen, die sich an Behandlungen anpassen, Resistenzen erzeugen und Medikamente wirkungslos machen. Um solche Mutationen frühzeitig zu erkennen, müsste man idealerweise zur Kontrolle während der Therapie weitere Biopsien vornehmen. Das stellt jedoch einen unrealistischen Aufwand dar und erweist sich für Patienten als zu belastend. Liquid biopsy hingegen ermöglicht ein engmaschigeres Kontrollnetz, weil ein Bluttest im Vergleich mit Biopsien einen kleineren Aufwand erfordert und sich in engeren Taktungen durchführen lässt. So können Tumore schneller identifiziert, wirksamer bekämpft sowie Rezidive und Resistenzen frühzeitiger erkannt werden. Zudem prüft die Blutuntersuchung, wie ein Tumor im Verlauf auf eine Chemotherapie anspricht. Falls die Therapie nicht die erwünschte Wirkung zeigt, steuert der Arzt gegen, indem er frühzeitig Medikamente und Dosierung verändert.
Technik
Für die Blutanalysen nutzt Liquid Biopsy die Technik der DNA Sequenzierung (siehe auch „So funktioniert Genetik“), die die Nukleinsäuren (DNA) des Erbguts untersucht. Um die Biomarker nachweisen zu können, muss die Blutentnahme einem festen Qualitätsstandard folgen. Es sollten speziell für diesen Zweck entwickelte Blutentnahmeröhrchen verwendet werden, die dem natürlichen Blutzellenverfall verzögern und über Tage aufhalten.
Auf dem Weg zur Marktreife
Die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Pathologie halten Liquid Biopsy für die Technologie der Zukunft, betonen jedoch zugleich, dass sie noch nicht ausgereift sei und optimiert werden müsse. Noch sei eine ausreichende Zuverlässigkeit des Verfahrens nicht gegeben und die Trefferquote für eine korrekte Diagnose noch nicht zufriedenstellend. Dies gelte auch für die Brustkrebserkennung. In vorliegenden Studien lag die richtige diagnostische Trefferquote bei Frauen über 50 Jahre – der Hauptrisikogruppe – bislang bei lediglich 60 Prozent.
Ein weiteres Manko: zirkulierende Tumor-DNA lässt sich derzeit nicht bei allen, sondern nur bei rund 70 Prozent der Tumorerkrankungen nachweisen. Zudem bestehen große Wirksamkeitsunterschiede bei unterschiedlichen Tumortypen und in Abhängigkeit vom Tumorstadium.
„Als Partner vieler Tumorzentren in Hamburg und Norddeutschland planen wir, unseren Patienten Liquid biopsy anzubieten, sobald sich dieses Verfahren etabliert hat und ausgereift ist. Wir gehen davon aus, dass die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden“, wirft Dr. Kleier einen Blick in die nahe Zukunft.
Fazit: Gegenwärtig ersetzt Liquid biopsy die herkömmlichen diagnostischen Verfahren noch nicht, sondern ergänzt sie. Es ist jedoch davon auszugehen, sich das mit der zunehmenden Optimierung der Technologie in sehr naher Zukunft ändert und das Verfahren zum Standard wird.